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Ich sag doch: 23 Uhr ist eindeutig zu spät für mich. Den Wecker einmal ausgeschaltet wache ich um 6:26 Uhr wieder auf. In 4 Minuten startet Yoga und ich bin normalerweise die Erste vor Ort. Heute wohl nicht. Katzenwäsche, Zähneputzen und los. VJ kommt auch gerade raus. Keine Ahnung, ob Claudia Lukas schon abgeholt hat. Jeden zweiten Tag hole ich ihn von seinem Zimmer ab, um ihm bei Bedarf zu helfen. Heute ist einer dieser 2. Tage. Das Licht in seinem Zimmer ist aus, als wir in den Yogaraum kommen, ist er aber nicht da. So ein Mist. Ich flitze los in Richtung seines Raums und da kommt er mir langsam entgegen – hat schon fast den ganzen Weg absolviert – ich bin baff! Es wird wohl langsam besser mit seiner MS – freut mich sehr.

Das Wiegen nach dem Yoga ist dann ein Schlag – oder VegiPuff – ins Gesicht, denn ich hab phänomenale 64,6 Kilo und damit 800 gr. mehr als gestern. Also so schwer war das Teil jetzt echt nicht. Da ich aber nicht mal Zeit hatte, aufs Klo zu gehen, wundert es mich auch nicht wirklich.

VJ hat schon gestern Abend festgestellt, dass sie doch lieber den grünen Sari hätte nehmen sollen und lässt sich diesen noch abends im Rajakumari zurücklegen. Also geht es heute wieder nach Pothencode. Aber zuerst müssen wir nach Trivandrum:

VJ hatte schon des Öfteren über taube Finger geklagt und Dr. Maya schickte sie daraufhin zum MRT der Halswirbelsäule nach Trivandrum, weil es selbst für Diabetes „untypische“ Finger waren, die taub wurden. Dort wurde dann in einem Zufallsbefund festgestellt, dass sich oberhalb des Scans wohl einer der Halswirbel etwas nach außen verschoben hat und das nochmals abgeklärt werden sollte, weil es so aussieht, als ob von vorne irgendwas auf den Halswirbel drückt.

Dr. Maya meinte, sie solle das in den Niederlanden machen lassen, wo auch ihre Familie ist. VJ möchte das aber hier erledigen. Dr. Maya verweist dann auf Chennai, wo VJ am 21.11. hinfliegt. Dort hat sie noch Verwandte und bleibt ein paar Tage, bevor es wieder nach Europa geht. Irgendwie hört sich das nicht so gut an. Warum will sie unbedingt, dass Familie in der Nähe ist? VJ und ich sind uns sehr ähnlich, von daher weiß ich, dass ihr Coolness nicht ganz echt ist. Natürlich macht auch sie sich Gedanken … sie bleibt dabei: Sie möchte das hier fertigmachen und bittet Dr. Maya vor allem um Ehrlichkeit, wenn das Ergebnis kommt. Zum Scan soll ein Beistand mit dazu. Dazu hat sie mich auserkoren. Ich muss was unterschreiben und dann werden wir vom Kliniktaxi abgeholt. Zur Feier des Tages habe ich heute mal mein eigentliches Hochzeitskleid an, weil ich das ja nun nicht tragen werde:

Gott sei Dank hab ich mein Human Design Buch mitgenommen. Es dauert doch ganz schön lange, weil erst noch ein BLutwert abgenommen und ausgewertet werden muss. Dann bekommt VJ noch Kontrastmittel und damit dauert die ganze Procedur im MRT eine halbe Stunde. Das letzte Mal war ihr erstes Mal und sie war nach den 15 Minuten ziemlich fertig, weil sie Platzangst hat. Ich warte im Warteraum auf sie und traue mich nicht, mir über der Straße beim Straßenhändler einen Chai zu holen, weil ich ja just in dem Moment gerufen werden könnte. Das Ergebnis bekommt sie erst Morgen und es stellt sich heraus, dass sie dank Atemtechnik gut zurechtkam. Außerdem kannte sie das Procedere ja nun schon. Da bin ich froh. Bis wir zuhause ankommen, kommt uns schon Aman vom Mittagessen aus dem Yogaraum entgegen. Also wenn er fertig ist, dann ist für uns nix mehr da – soviel ist klar. Ist dann auch so, aber die Küche macht uns noch was. Ich hab echt keinen Hunger, frage also nur nach Ananas – ich hab mir seit drei Tagen nachmittags Obst selbst verordnet und das ist echt gut. Da ich um 14 Uhr meine 2. Anwendung habe, bleibt mir keine Zeit für irgendwas. Raus aus dem Kleid und rein in den Behandlungsraum. Essen und Tee gibt es später.

Wie freue ich mich, als Wanda mir erklärt, dass ich heute Shirodhara, den Stirnguss bekomme. Darauf warte ich schon die ganze Zeit. Das soll soooo entspannend sein! Und das ist es dann auch tatsächlich. Ich bekomme kein warmes Öl, sondern eine Joghurt-Kräuter-Mischung für 40 Minuten über die Stirn geträufelt und falle dabei wirklich fast in einen Schlaf. Nur meine Sorge, aus Versehen zu pupsen im Behandlungsraum, hält mich von meiner totalen Entspannung ab :-)))) War ja noch immer noch nicht auf dem Klo – totlach …

Chandra, mein scheuer indischer Nachbar aus Atlanta muss heute Nachmittag eh an den Geldautomaten, also fragen wir, ob wir mitfahren dürfen. Er ist wirklich ein ganz arg Netter, erklärt uns dann nur, dass zu unserer Zeit hier abends die USA aufwachen und er dann arbeitet. Ist ja auch irgendwie doof – sowohl VJ als auch ich konnten uns während der Entgiftungsphase nicht konzentrieren – wenn ich mir vorstelle, dass ich dann aufmerksam in Meetings sitzen oder was Hochgeistiges kreiieren sollte – schwierig….Ihm ist ganz offensichtlich nicht so wohl dabei, uns alleine zu lassen in Pothencode. Das ist aber ja genau das, was wir wollten :-))). Niemanden, auf den wir Rücksicht nehmen müssten. Also versichern wir ihm, dass wir Arun – unseren Tuktukfahrer – anrufen, wenn wir fertig sind und wohlbehalten wieder ins Ayurmana zurückfinden werden ;-).

Gesagt getan und rein in die Sari-Schlacht. Morgens hatte ich VJ gefragt, wie sie denn Gelb findet, weil ich das besonders passend zu ihrem Magenta finde. Mag sie. Und so ziehen die ganzen Verkäuferinnen also einen gelben Sari nach dem anderen aus dem Regal. Immer gefällt uns was nicht. Witzig ist, dass sie sogar, wenn man beim Rausziehen sieht, dass da z.B. Lila dran ist und man dann gleich nein sagt, trotzdem noch den Sari auspacken und aufwickeln. Ja gut – wenn man keine Arbeit hat, dann macht man sich halt welche. Wir finden dann irgendwann einen currygelben einfarbigen Sari, der umwerfend mit ihrer magentafarbenen Bluse aussehen wird. In Indien kann man übrigens nur umtauschen, bekommt aber kein Geld zurück. Da der gelbe günstiger war, ersteht VJ noch einen passenden Petticoat für drunter und noch Stoff für 2 Blusen. Auch hier ist es am Ende ein großer Berg an Ballen, der auf dem Tisch liegt, bis wir uns entschieden haben. So macht Einkaufen Spaß :-). Ich bewundere wieder mal diese äußerst üppigen Kleider und lasse mir mal spaßeshalber einen Preis dafür geben. Sind Hochzeitskleider und kosten 18000 INR – was ca. 215€ entspricht. Lachhaft, oder?

In einem Nachbarlädchen erstehe ich noch eine Haarspange und eine Modeschmuck-Kette und habe damit für rund 2€ inkl. der Ohrringe von gestern den ganzen Tand zusammen, den ich für die Hochzeit brauche. Sehr schön. Das muss gefeiert werden, daher gönnen wir uns an einem sehr angeranzten Ständchen draußen bei einer sehr netten älteren Dame einen Chai, während wir auf Arun warten.

VJ erklärt mir dann später, dass dies ein Hijra war: Ein Mensch mit beiden Geschlechtern. Hä? Sowas gibt es? Ich bin perplex. Für mich war das eine Frau – mit starkem Bartwuchs zugegebenermaßen, aber das sieht man ja häufiger mal. Vj kennt sich da aus – sie hat das sowohl an der Art zu sprechen als auch an ihren Bewegungen erkannt. Ich Dorfplänzchen hab mal wieder keine Ahnung :-).

Da mich das Thema aber doch sehr interessiert, belese ich mich dazu und finde einen sehr schönen und spannenden Artikel dazu, den ihr euch echt mal durchlesen müsst.

https://www.refinery29.com/amp/de-de/hijra-die-schoenheit-des-dritten-geschlechts-indien-in-bildern

Die Fotografin Jill Peters hat eine Portraitreihe mit Hijras gemacht – ich zeige euch hier ein paar, aber seht selbst in dem Artikel die anderen dazu an:

Wer sich noch intensiver mit dem Thema befassen möchte, findet hier nochmals einen sehr interessanten und ausführlichen Artikel: https://www.uibk.ac.at/geschlechterforschung/geschlechterforschungpdf.html/hijrasinnsbruck.pdf

In Indien wurde schon 2009 ein drittes Geschlecht auch offiziell eingeführt und damit rückte man vom vormals übernommenen Zwei-Geschlechter-Modell des Westens ab. Indien besinnt sich langsam auf seine alten Werte und seine Kultur zurück – und in der war schon immer Platz für vielerlei Geschlechter und Neigungen. Auch homosexuelle Ehen sind hier kein Thema. Hätte ich irgendwie nicht gedacht, aber ist ja schön. Die Hijras sind eine Art eigene Kaste. Auch wenn die Bilder vermitteln, dass es ihnen gut geht, ist das in vielen Fällen nicht so. Ausgestoßen von der Familie müssen sich viele dann doch in der Prostitution verdingen. Unsere Teeverkäuferin (was ist denn hier nun das richtige Wort?) hat 11 Jahre in den Emiraten als Köchin gearbeitet. Wahrscheinlich auch für einen Hungerlohn, aber immerhin nicht im Sex-Business. Ihr Tee ist fantastisch und wir fahren entspannt mit Arun nach Hause, wo wir wieder in trauter Runde mit Aman und Patrick den Abend ausklingen lassen.

Eine Überraschung gab es übrigens kurz bevor wir mit Chandra losgefahren sind: Lukas ist das erste Mal zu uns gekommen. Ich hab ihn – außer zum Yoga – noch wirklich gar nie laufen gesehen. Und jetzt kommt er ganz langsam aber beständig auf seinen Krücken zu uns. Wir freuen uns mega, machen ihm gleich Platz und er bewundert unsere schöne Aussicht im „Poor-Mans-House“ wie VJ unser Haus getauft hat. Als 2. Überraschungsgast kommt Amed mit seinem kleinen Sohn vorbei. Der Sohn ist mega schüchtern, taut aber ganz langsam etwas auf. Seine Frau hat noch niemand zu Gesicht bekommen, weil sie so schwer an MS erkrankt ist, dass sie nicht rauskann. Ich frage ihn, ob es schon erste Anzeichen einer Besserung gibt, aber die gibt es nach 2 Wochen leider noch nicht. Wie gut, dass Lukas da ist! Er erzählt ihm, dass er erst nach ca. 3 Wochen erste Verbesserungen festgestellt hat und außerdem immer mehr merkt, wieviel ihm das Pranayama (also die Atemtechniken) helfen. Was für ein glücklicher Zufall, dass die beiden ausgerechnet heute zur gleichen Zeit zum ersten Mal bei uns zusammentreffen! Denke, das ist eine große Motivation für Amed!

Als wir losmüssen, will ich Lukas helfen, aber er geht selbständig mit seinen Krücken die unebene Treppe hinauf und wir sind ein weiteres Mal sprachlos. Hoffentlich übernimmt er sich nicht. Aber das ist so ein toller Fortschritt! Er ist ja wie ich nur noch bis zum 28.11. da – glaube, es würde ihm guttun, wenn er nochmals 6 Wochen dranhängen würde. Aber gut: Muss auch alles finanziert und organisiert sein ….

Heute kam übrigens mein Fummel für die Haldi-Zeremonie am 19.11. an – das ist das Vorfest, an dem die Braut mit Kurkuma beschmiert wird. Dresscode war gelb oder weiß, falls ihr euch noch erinnert. Das Teil passt nicht nur wie angegossen, sondern steht mir auch noch ganz hervorragend – also irgendwie passe ich echt gut hierher ;-))) – wobei ich euch mal das Amazonfoto schicke, weil ich wieder Mal kein Bild gemacht hab beim Anprobieren:

Und das Beste: 100% Baumwolle – damit kann ich dann auch Tanzen :-))

Da mein Kleiderschrank nicht veränderbar ist und die Kleider viel zu lang, missbrauche ich für heute mal die Gardinenstange:

Lauter schöne Fummel :-))

Der Abend geht zu Ende und ich denke, wir haben viel Ablenkung für VJ gehabt, so dass sie nicht dauernd über ein negatives Ergebnis ihres Scans nachdenkt. Meine Devise – und die hab ich ihr auch gesagt – ist: Was kann das Schlimmste sein, das rauskommt? Ein Tumor. Und der kann in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ja erfolgreich entfernt werden. So einfach ist das wahrscheinlich. Und im besten Fall ist garnix. Aber auf jeden Fall ist das ein Geschenk, dass sie durch ihre tauben Finger und die Aufmerksamkeit und Gründlichkeit von Dr. Maya an diesen Zufallsbefund herangekommen ist. Oftmals ist es ja der Zeitfenster, der für oder gehen eine schlechte Prognose spricht. Aber wir sind erstmal guter Dinge. Kann sein, dass sich am Ende rausstellt, das überhaupt garnichts ist. Das ist unser aller Wunsch :-).